Kanada wählt jung!

Jack Layton 22. April 2011, (c) abroadcom.net

Oh Kanada, ich kenne Dich nicht wieder! Immer wenn man es am wenigsten erwartet, hat dieser verspannte Ort eine unerwartete Wendung auf Lager…

Erst ging es in diese Kampagne so gelangweilt und vorhersehbar wie eh und je (is’ ja nur die vierte in sieben Jahren), scheinen jedenfalls die hier ansässigen JournalistInnen sich alle einig zu sein, obwohl Premierminister Stephen Harper das Ende seiner zweiten MInderheitsregierung vermutlich selbst getimt hat – dass er mit seiner neuesten Heimlichtuerei über die im Haushalt nicht verbuchten Kosten der neu zu kaufenden Kampfjets diesmal nicht am Parlament vorbeikommen konnte, scheint auch Stephen Harper selbst klar gewesen zu sein – was im Zusammenhang mit der Tatsache, dass die konservative Partei Kanada’s über ein halbes Jahr negativ und personenbezogen auf der liberalen Opposition rumhackte in bezahlten Fernseh-Spots, aus den allgemeinen Töpfen der konservativen Partei finanziert, in eine gewisse Perspektive rückt – beides ist zu Wahlzeiten illegal, aber als die Regierung vor sechs Wochen fiel, schienen viele Wechselwähler und die konservative Basis schon genügend glotzophonisch weichgespült.

Dachtense alle.

Viele mehr oder weniger überraschende Sachen schienen darauf alle mehr oder weniger gleichzeitig zu passieren:

Die Spitzenkandidatin der Grünen Parei Kanada’s, Elizabeth May, wurde von denen im Fernsehen live übertragenen Fernsehdebatten auf Englisch und Französisch ausgeschlossen, darüber gibt es einen früheren Eintrag in diesem Blog … rechtmäßig scheint dies vorerst nur bis das Gericht die Frage ausreichend geprüft hat, ob hier das Konsortium aus Medien nicht anderweitig entscheiden sollte, die kanadischen Grünen hatten umgehend gegen den Ausschluss geklagt.

Rick Mercer, ein Fernseh-Entertainer, hielt in seiner Show ein glühendes Playdoyer, und wenn es nur eingedenk der arabischen Demokratie-Martyrer sei, auf jeden Fall am Montag zu wählen. Believe it or not, diese Schmährede (“young people don’t vote, and established parties like it that way”) inspirierte jede Menge “Vote-Mobs” quer durch’s ganze Land, meist junge Leute – so war derselbe Mercer nun sechs Wochen später in den Nachrichten zu sehen wie er zu ungefähr 15 000 auf Handy call hin super spontan Versammelten im Park zuruft: “Jump up and say: Surprise, we’re voting (Überraschung, wir wählen), woraufhin alle genau das tun – unglaublich, aber wahr (oder nur CBC-Propaganda, wie man sonst gerne von konservativen Anhängern zu hören kriegt)!

Diverse Schmutzkampagnen gegen die liberalen Gruppen weiter und Wochen mit Krimi-gerechten Anschuldigungen einiger konservativer Kandidaten, u.a wegen Betrug, später, scheinen die Separatisten in Québec die Nasen massenhaft von Separatismus gleichermaßen wie von konservativer Big Small Time voll zu haben und stattdessen zu glauben, dass die linksliberale Neue Demokratische Partei NDP mit langjährigem Parteivorsitzenden Jack Layton eine weit bessere Vertretung in Ottawa abgibt – the orange crush (grün und orange vor allem sind die Farben der Partei, jedoch “Orange Crush” ist auch ein Brausegetränk, dass ich einen Fan dem grinsenden Layton während einer Wahlveranstaltung in die Hand drücken sah) startete in der Provinz Québec mit elektrisierenden Wahlveranstaltungen, während derer der langjährige Volksvertreter es verstand, diesmal bei der Sache zu bleiben und nicht wie viele in die Attacken-Rede zu verfallen – Ottawa ist kaputt, lasst uns zusammenarbeiten, um es zu reparieren – dieser Slogan und die Egalität, den die Neuen Demokratischen Frauen anstreben, die kulturell weit gefächerten Prägungen ihrer Kandidaten, das pragmatisches Auftreten des Spitzenkandidaten, der ein alter Hase im Parlament ist, haben in diesem so trocken gestarteten Wahlkampf mit passioniertem Finish viele Kanadier auf NDP-Seite gebracht und jungen Leuten die Leidenschaft für Politik wiedergegeben – wenn alle wählen, dann sind Direktmandate am interessantesten, und das ist vielleicht der größte Gewinn, den wir in dieser Wahl feiern wollen: Ein Drittel mehr Kanadier als vor zwei Jahren haben schon per Briefwahl gewählt, wie auch immer, die Wahlbeteiligung wird höher sein, ein Sieg für die Demokratie, ich gratuliere, Oh Kanada, von ganzem Herzen!

Die letzten Umfragen zeigen: Elizabeth May hat gute Chancen für einen Wahlkreis in Britisch-Kolumbien als erste Grüne kanadische Abgeordnete ins nationale Parliament gewählt zu werden, und Jack Layton könnte theoretisch Kanada’s nächster Premier sein – die Aufregung hilft köstlich über den trüben Frühling hinweg und trumpft sogar handfeste Ablenkungen wie die NHL-playoffs und die königliche Hochzeit in England – schön, dass so viele sich nicht mehr ablenken lassen, Kanada, alle Achtung.

Langjährige FreundInnen werden bestätigen, dass ich dieses “schon ümma” vor mich hingemurmelt habe:

Alles neu macht der Mai. Some change finally. I’m ready!

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